Lieber Alex, du warst erst vor Kurzem in der Ukraine und hast dort laufende Projekte des Ukraine-Programms und der Partnerorganisationen besucht. Wie ist die aktuelle Lage der Menschen?
Die Situation ist sehr dramatisch. Die Menschen leben seit drei Jahren im Ausnahmezustand. Viele haben alles verloren, ihre Häuser, ihre Familienangehörigen, auch ihre Sicherheit. Und neben der unmittelbaren Bedrohung durch den Krieg gibt es auch eine tiefe gesellschaftliche Spaltung und eine große psychische Belastung. Dennoch begegnen mir immer wieder Menschen, die Hoffnung bewahren und aktiv an einer besseren Zukunft arbeiten. Und genau diese Menschen unterstützen wir, indem wir Räume für Dialog schaffen, psychosoziale Hilfe leisten und auch zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen beitragen.
Du sprichst von Konflikten abseits der Frontlinie in der ukrainischen Gesellschaft. Was meinst du genau und warum gibt es diese Konflikte?
Neben dem militärischen Konflikt an der Front gibt es eben auch innerhalb der Gesellschaft erhebliche Spannungen. Die Mobilisierungskampagne der Regierung beispielsweise führt zu sehr kontroversen Debatten vor Ort. Viele Binnenvertriebene kämpfen mit der sozialen und wirtschaftlichen Integration und es gibt unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie der Wiederaufbau gestaltet werden sollte. Und wenn solche Spannungen nicht bearbeitet werden, drohen sie langfristig, die gesellschaftliche Stabilität zu gefährden. Deshalb setzen wir gezielt auf Dialogarbeit, um Brücken zwischen den verschiedenen Gruppen zu bauen.
Durch Dialogarbeit in Form von beispielsweise Theater-Gruppen werden Brücken zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gebaut.
Was würde denn passieren, wenn man die Zivilgesellschaft in der Ukraine aus dem Auge verliert?
Unsere Erfahrung ist, dass es ohne eine starke Zivilgesellschaft keinen nachhaltigen Frieden gibt. Und wenn wir die Menschen, die vor Ort für Demokratie, Frieden, Menschenrechte und Zusammenhalt kämpfen, nicht unterstützen, dann riskieren wir, dass gesellschaftliche Gräben weiter aufbrechen. Der Krieg endet ja nicht mit einem Waffenstillstand, sondern der gesellschaftliche Wiederaufbau beginnt bereits jetzt. Unsere Partnerorganisationen arbeiten an Projekten, die langfristig dieses Fundament für eine friedliche und gerechte Ukraine legen.“
Nun leistet Pro Peace hier Friedensarbeit. Du sprichst sogar von Friedensarbeit in Echtzeit. Was heißt das und wie kann man Friedensarbeit innerhalb eines gewaltsamen Krieges leisten?
Friedensarbeit passiert ja nicht erst nach einem Krieg, sondern sie muss schon währenddessen stattfinden. Wir nennen das Friedensarbeit in Echtzeit. Das bedeutet, dass wir unsere Ansätze an die sich ständig ändernde Lage anpassen und den Menschen vor Ort helfen, mit den Herausforderungen umzugehen. Dazu gehört psychosoziale Unterstützung für traumatisierte Kinder und Erwachsene beispielsweise. Oder auch die Förderung eines konstruktiven gesellschaftlichen Dialogs oder die Dokumentation von Kriegsverbrechen. Wir arbeiten nicht gegen den Krieg, sondern eben für den Frieden. Und das beginnt schon heute.
Wie genau sieht diese Arbeit aus? Was macht Pro Peace konkret?
Unsere Arbeit hat viele Facetten, aber ich nenne mal drei ganz konkrete Beispiele. Zum einen unterstützen wir Schulen dabei, einen sicheren Raum für Kinder zu schaffen, die durch den Krieg traumatisiert wurden. Lehrkräfte werden geschult, um mit Angst und Stress besser umgehen zu können und auch über den Krieg zu reden. Dann haben wir ein traumasensibles Mitmachtheater, bei dem Menschen ihre Kriegserfahrungen künstlerisch verarbeiten können. Das hilft bei der psychischen Bewältigung von Stress und Trauma. Und wir dokumentieren, beispielsweise mit dem War Childhood Museum, gemeinsam mit unseren Partnern die Erlebnisse von Kindern im Krieg. Diese persönlichen Geschichten sind essentiell für die Aufarbeitung und spätere Versöhnung.
Wie siehst du denn die aktuellen Entwicklungen rund um den Konflikt?
Wie wir jetzt beobachten, gibt es endlich, muss man sagen, auch diplomatische Initiativen. Aber wir sehen auch, dass zentrale Akteure, insbesondere die Ukraine selbst, zu oft außen vor bleiben. Wenn Amerikaner und Russen über Sicherheitsfragen verhandeln, ohne dass die Ukraine oder europäische Partner gleichberechtigt mit am Tisch sitzen, dann wird eine friedliche und gerechte Lösung erschwert. Gleichzeitig müssen wir aber auch anerkennen, dass dieser Krieg nicht allein auf dem Schlachtfeld entschieden wird. Frieden wird nur möglich sein, wenn die internationale Gemeinschaft es schafft, neben militärischer Unterstützung auch diplomatische und vor allem auch gesellschaftliche Lösungen zu fördern.“
Frieden spenden
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!
Vielen Dank für das Gespräch. Nach diesen drei Jahren Krieg in der Ukraine, in denen vor allem die Zivilgesellschaft gelitten hat und weiter leidet, ist nachhaltige Friedensarbeit hier besonders wichtig.