
Warum gibt es aus deiner Sicht im Moment so viele Konflikte in unserer Gesellschaft?
Wir erleben gerade viele Veränderungsprozesse, die uns herausfordern, weil sie unser Leben direkt betreffen. Das ist sowohl die Klimakrise, aber auch die Energie- und Verkehrswende, der Umgang mit Digitalisierung und anderen Themen - das verunsichert und führt zu teils heftigen Diskussionen. Solche Diskussionen sind erst mal ein gutes Zeichen, weil sie zeigen, dass unsere Demokratie funktioniert. Was wir aber gerade in Deutschland erleben, ist, dass sich die Dialogkultur sehr verändert. Es geht nicht mehr darum, gemeinsam ins Gespräch zu kommen, sich zuzuhören und gemeinsam Optionen zu entwickeln, sondern es geht oft nur noch darum, seine eigene Position stark zu machen und durchzusetzen.
Ein Thema, das vor allem im Wahlkampf im Mittelpunkt stand, war das Thema Migration. Für die Probleme, die es dabei gibt, wurde eigentlich immer die gleiche Lösung präsentiert – mehr abschieben, weniger reinlassen. Ist das wirklich die Lösung für die Konflikte in diesem Zusammenhang?
Nein. Wir sehen, dass im Wahlkampf überhaupt nicht differenziert wurde, warum Personen nach Deutschland kommen. Migration wurde pauschal als Problem behandelt. Aber abschieben und weniger reinlassen sind keine Lösungen. Das steht auch im Widerspruch dazu, dass Deutschland verpflichtet ist, Asyl zu gewähren und auch, dass Deutschland bemüht ist, Fachkräfte ins Land zu holen. Was im Wahlkampf deutlich wurde, ist, dass die Themen Migration und Integration nicht lösungsorientiert geführt werden. Vielmehr wurde versucht, diese Themen für andere politische Interessen zu instrumentalisieren. Und wir sehen ja auch, dass Migration und Sicherheitsdiskurse vermischt wurden, obwohl sie eigentlich unterschiedlich geführt werden müssten.
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Was ist dann die Lösung?
Zuallererst wünschen wir uns, dass Migration nicht als Problem, sondern auch als Chance betrachtet wird. Wir wünschen uns auch, dass neben den politischen Debatten auch in der Gesellschaft selbst darüber gesprochen wird - nicht nur im digitalen Raum. Es gibt auf kommunaler Ebene viele tolle Formate und Angebote, sich auszutauschen und einzubringen. Und die Erfahrung zeigt, dass wenn Menschen sich direkt begegnen, Verunsicherungen und Sorgen abnehmen. Das würde dann auch bewirken, dass wir in der breiten Gesellschaft konstruktiv über diese Themen sprechen können. Und hier setzt unsere Kommunale Konfliktberatung an.
Wie genau sieht das aus?
Wir unterstützen Politik und Verwaltung einer Kommune dabei, mit gesellschaftlichen Konflikten konstruktiv umzugehen. Dafür arbeiten wir mit professionellen Konfliktberater*innen zusammen, die vor Ort zahlreiche Gespräche führen und anschließend eine systemische Analyse der Situation erstellen. Auf dieser Grundlage können wir gemeinsam mit den kommunalen Akteuren Handlungsoptionen entwickeln, die passgenau für die Situation vor Ort sind, aber auch sicherstellen, dass die kommunalen Akteure diese selber umsetzen können. Uns ist wichtig, dass nachhaltige Maßnahmen entstehen.
Wo kann Kommunale Konfliktberatung helfen?
Es gibt immer mehr Kommunen, die sich für unser Angebot interessieren. Wir beraten gerade in neun Kommunen und die könnten unterschiedlicher nicht sein. Wir sind z.B. in Berlin, in Gelsenkirchen, aber auch in Kleinstädten wie Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern aktiv. Ein Beratungsprozess, der gerade zu Ende geht, ist in Hildesheim. Dort wurde behördlich eine Moschee geschlossen und das hat einen großen Riss in der Stadtgesellschaft verursacht. Durch den Prozess haben wir es geschafft, dass Vertrauen wiederhergestellt wurde und Vorurteile abgebaut werden konnten. Wir sind sehr froh, mit der Kommunalen Konfliktberatung diesen Beitrag geleistet zu haben.
Was sollte die neue Bundesregierung tun, um die Konfliktbearbeitung in Deutschland zu stärken?
Wir fordern von der neuen Bundesregierung in unserer aktuellen Kampagne "Friedenstandort Deutschland stärken", dass Konfliktbearbeitung vor Ort gestärkt wird. Dafür braucht es sowohl Mittel als auch Strukturen. Wir wünschen uns von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis zur Zivilgesellschaft und insbesondere Friedens- und Menschenrechtsorganisationen zu unterstützen und vor Repression zu schützen. Last but not least wünschen wir uns, dass die Bundesregierung als Antwort auf die veränderte Weltlage und auch die aktuelle Bedrohung für den Frieden vermehrt Programme der Friedensbildung, des globalen Lernens und der politischen Bildung fördert.
Kommunale Konfliktberatung wird im Rahmen des Projekts "Kommunen im Fokus: Konflikte nutzen - Integration gestalten" umgesetzt. Informationen zur Finanzierung des Projekts finden Sie unter "Förderer".